Kennen Sie Bendlikon wirklich? Es ist die grösste Siedlung in Kilchberg, gegründet auf dem Gelände am See, dort wo der Dorfbach, vom Berg her kommend, in den See mündet. Er war gesäumt von „Bändelistöck“, den gelben Kopfweiden, die man so gut zum Anbinden der jungen Triebe der Rebe verwenden konnte. Fischerei und Weinbau waren denn auch die Haupterwerbzweige im alten Bendlikon, neben dem ausgeprägten Fuhrwesen zu Wasser und zu Land.
Ein Spaziergang will nicht nur Wissen vermitteln, sondern auch den Weg mit allen Sinnen aufnehmen und neben der Vergangenheit die gegenwärtige Situation achtsam wahrnehmen und in die Zukunft schauen. So machte sich eine stattliche Schar an einem sonnigen Septembermorgen auf den Weg und entdeckte nächst dem Seehüsli den Dorfbach. Er fliesst seit langem auf seinem ganzen Lauf unterirdisch, bis auf die letzten Meter vor dem See, wo man ihn unter einem Drahtgitter hören und sehen kann. Ihn aus dem Untergrund wieder hervorzuholen würde eine grosse Anstrengung bedeuten, könnte aber auch im Hinblick auf die Entwicklung zur „Schwammstadt“ von Bedeutung sein.
Der alte Pilgergasthof Löwen steht nahe dem Ufer an der Seestrasse, leider nur noch in „Profilerhaltung“ mit verwaistem Wirtshausschild. 1675 erbaut war er vor der Erbauung des Gemeindehauses (1937) das politische Zentrum von Kilchberg-Bendlikon. Dort fanden die Gemeindeversammlungen statt. Mit seiner grossen Terrasse wäre er auch heute ein toller Treffpunkt. Die Chilbi fand damals auf dem Seeplatz statt. Trotz Denkmalschutz wurde der Löwen 2007 wegen Baufälligkeit abgerissen - ein grosser Verlust.
Wir überqueren die Seestrasse, die erst 1837 erbaut wurde. Vorher gab es nur den Pilgerweg -und den See. Hier verbreitet sich die Dorfstrasse in der Einmündung auf 3 Spuren. Auf der Nordseite stehen noch Bendliker Häuser aus dem 17. Jahrhundert; weiter oben sich eine kleine verwinkelte Siedlung, die noch etwas vom dörflichen Charakter Bendlikons erahnen lässt, aber heute von manchem eher als Verkehrshindernis wahrgenommen wird. Wir versammeln uns beim alten Plätzchen am Brunnen und schauen uns eine Flugaufnahme von 1919 an - was ist hier geschehen?
Der ebenerdige Bahnübergang beim Weinbauernhaus, Bahnhofstrasse 12 war nicht mehr tragbar wegen des grossen Verkehrsaufkommens. 1961 wurde die Überführung eingeweiht und dafür wurden 6 alte Bendliker Häuser abgebrochen, der schlimmste Eingriff ins alte Dorf seit Menschengedenken. Auch der Gasthof Eintracht mit seiner Gartenbeiz ging verloren. Eine erneute Verbindung zum See mit schattenspendenden Bäumen, vielleicht sogar entlang des Dorfbachs, erstand vor unseren Augen... Wir gehen weiter und stehen jetzt vor dem Weinbauernhaus,
das auch zu Bendlikon gehört, aber der Zentrumszone zugeordnet ist. Aus der Dorfstrasse wurde hier die Bahnhofstrasse, die neue „Prachtstrasse“, deren Häuser zu Anfang des 20. Jhs gebaut und in Postkarten verewigt wurden in Referenz zum 1875 eingeweihten Bahnhof, der zuerst Bendlikon-Kilchberg hiess. Einige Häuser des alten Bendlikon lagen mit dem grossen Rebgelände oberhalb der Eisenbahn und des alten Bahnübergangs.
Das junge Kilchberg Architekturbüro VBau informierte uns abschliessend über ihr initiatives Projekt zur Gestaltung des Bahnhofplatzes mit dem Haus des Alters nördlich des Bahnhofs und dem Haus der Jugend südlich im Weinbauernhaus. Das ansteigende Gelände ausnützend wären die Anfahrt und die Parkplätze unterirdisch; gegen die Gleise stellen sie sich eine abschirmende Bebauung mit kleinen Läden und Einkaufsmöglichkeiten vor mit einem offenen Platz der Begegnung in der Mitte, auch als Visitenkarte von Kilchberg. Dem Wunsch nach einem Grossverteiler könnte ebenfalls Rechnung getragen werden. Der Architekt Pascal Geiger betont, dass ein Architekturwettbewerb begrüssenswert sei. Dieser wurde nämlich versäumt, als man das gesamte Gelände dem Coop im Baurecht überliess. Erst die Einsprache des Zürcher Heimatschutz verlangte ein Gutachten für „die alte Scheune“. Wider Erwarten der Behörde ergab sich ein Alter, das dem des verlorenen Gasthofs Löwen entspricht, nämlich von 1667. Das Gutachten spricht sich für den Erhalt des Weinbauernhauses aus. Sind wir bereit umzudenken? Wie geht es weiter mit Bendlikon?
Margret Schaaf Scholl, Sozialwissenschaftlerin, Kilchberg